Samstag, 18. März 2006

Tag für Tag

Die Sonne erhob sich über den Horizont, wurde widergeboren aus der Dunkelheit der Nacht um ihr Licht und die Wärme in die Welt zu bringen. Sie begann einen neuen Zyklus der mit ihrer Geburt am Horizont anfing und mit ihrem Untergang am selbigen endete.
Ihr Licht floss über das Meer bis es das Ufer erreicht hatte, um dort, gleich einer Eidechse, die Mauern des Palastes empor zu kriechen. Meter für Meter kroch es hinauf, bis es endlich eins der großen Fenster erreicht hatte. Endlich einen Einlass gefunden, schwang es sich, von den Buntglasscheiben wenig behindert, über das Fensterbrett ins Innere. Es tröpfelte langsam, leise aber stetig hinüber um auf dem Boden seinen Weg fort zu setzen. Gleich einer Armee aus Licht schritt es auf seinem Weg voran, mit sich bringend den neuen Tag.
Sein Weg wurde abrupt gestoppt als es auf ein Hindernis traf. Doch nicht lange hielt es sich auf, unbeirrbar machte sich das Licht daran sein Hindernis zuklimmen. Es kletterte hinüber, erhellte und entlarvte es als Mensch der auf dem Boden schlief.
Morpheus, der die Gestallt bis eben in den Armen gehalten hatte, zerfloss, vom Licht aufgelöst zu wabernden Dunst der sich langsam lichtete.
Der Mann auf dem Boden gab ein unwilliges Murren von sich, die Augen blieben trotzig verschlossen und die geschwungenen Augenbrauen zogen sich zusammen. Der schlanke Körper krümmte sich zusammen, rollte sich ein, als wolle er die letzten Reste des Schlafes einschließen und bei sich behalten. Doch diese stoben verschreckt auseinander als draußen ein Seevogel seinen schrillen Schrei ertönen ließ.
Darius schlug nun doch die Augen auf, dieses schrille Gekreisch des Vogels machte ihn wütend, zu wütend um weiter zu schlafen. Was viel diesem Vieh ein um diese Uhrzeit solchen Lärm zu machen! Es war schon schlimm genug das er vergessen hatte am vorigen Abend die Vorhänge zu zuziehen und so mit dem ersten Licht des Tages erwachte. Dieses hatte seinen Feldzug weiter fortgesetzt und tauchte das Zimmer klares, zartes Morgenrot, malte harte Schatten an die Wände und hauchte sanftes Rosé auf den Himmel.
Grüne Augen blinzelten dem neuen Tag entgegen, noch unwillig sich an die Helligkeit zugewöhnen. Mit einem Seufzen ihres Besitzers schlossen sie sich wieder. Ein weiter Tag, ein weiter Tag voll Langeweile und Nichtstun. Noch dazu einer der früher begann als er eigentlich sollte. Wie lange ging das nun schon? Monate? Ein halbes Jahr? Ein Ganzes? Darius wusste es nicht mehr, er hatte irgendwann aufgehört die Tage zu zählen. Seit sein letzter Besitzer gegangen war, war eine Ewigkeit vergangen und kein Neuer war erschienen. Was war los? Hatte man ihn vergessen oder war sein Key verloren gegangen? Wahrscheinlich. In Darius Kopf bildete sich das die Vorstellung wie sein Key vergessen in einer Kiste oder Schublade verstaubte. Oder gar schlimmer, er auf dem Meeresgrund versunken lag oder in einer Höhle zwischen Kies und Geröll steckte. Die Vorstellung spann sich in der Gedankenwelt von Darius weiter, niemand würde kommen, weil niemand den Schlüssel zu seinem Zimmer hatte und er würde hier harren. Warten, warten und warten, bis er eines Tag alt und verwelkt sterben würde oder wenn nicht am Alter, dann an Langeweile!
Blödsinn!
Ein dunkles Knurren stieg die Kehle des Jungen Mannes hinauf, brachte sie zum vibrieren um dann über schmale Lippen zu entschlüpfen. Sich Selbst einen Dummkopf scheltend stand Darius auf. Das war nun wirklich übertrieben! Bestimmt lag sein Schlüssel in irgendeinem Kästchen, sicher aufbewahrt, wartend darauf das ihn jemand fand der wusste was er wert war. Früher oder später würde sicher jemand kommen!
Aber was sollte er bis dahin tun?
Es war früher Morgen, die Sonne war noch nicht einmal richtig aus dem Meer emporgestiegen. Viel Zeit hieß es verbringen, doch nichts gab es, was er hätte tun können um Chronos ein Schnippchen zu schlagen, es gab einfach nichts mehr. Darius hatte alle Bücher gelesen die sich in der massigen Schrankwand stapelten, er hatte sie entstaubt, sortiert und bei manchen sogar die abgegriffenen Buchrücken repariert. Er hatte sich selbst Schach beigebracht, gegen sich selbst gespielt bis selbst das keine Ablenkung mehr war.
Nun verbracht Darius Tag für Tag damit dösend auf dem Sofa oder dem beheizend Fußboden zu liegen, schläfrig vor sich hin dämmert, die Wärme genießend die von Sonnenlicht oder Beheizung ausging und ihn umgarnte. Doch immer öfter spürte er das Gefühl der Lethargie, das Nachlassens seines Geistes. Wenn er weiter in diesen Zustand des Nichtstuns verweilte würde er sich bald ganz der Lethargie ergeben und nie wieder aufwachen.
Von dieser Aussicht bedrängt, begann der junge Mann im Zimmer auf und ab zu schreiten, gleich einem Raubtier das unruhig an den Gitterstäben entlang streifte, ein großer Wille der eingepfercht unruhig auf den Moment der Flucht aus seinem Gefängnis wartet. Ein Gefangener war er, ja, zwar nicht in diesem Zimmer, wohl aber im Palast. Er war das Raubtier, die Mauern seine Gitterstäbe.
Schweigend schritt er die Strecke von einem Schrankwandende zu anderen auf und ab. Auf und ab. Immer wieder, unruhige aber geschmeidige Schritte trugen den hochgewachsenen Körper, ließen das fließende Gewand wehen, kein Laut war zu hören wenn die baren Füße auf den dicken Teppich aufsetzten. Auf und ab.
In einem plötzlich Satz brach Darius aus seiner immer gleichen Laufbahn aus, machte drei, vier ausgreifende Schritte um Schwung zu holen und sprang von hinten über die Sofalehne. Seine kräftigen Beine spannten sich an als er in der Hocke auf dem großen Sofa landete. Dieses gab ein bedrohlich ächzendes Geräusch von sich, als würde es bei weiter Belastung entzweibrechen, doch nichts geschah.
Die grünen Augen, die bis eben noch, düster in die Welt geblickt hatten wurden ausdruckslos, als der Mann den samtigen Stoff des Bezugs unter seinen Füßen spürte. Keinen Finger rührte er, kein Muskel zuckte verräterisch im schönen Gesicht des Mannes. Wäre da nicht das leichte sich Heben und Senken der Brust gewesen, so hätte man ihn auch für eine schön gemeißelte Statur halten können.
Die Augen weiter auf einen unbestimmten Punkt gerichtet, den Blick leer, neigte er leicht den Kopf in Richtung der Fenster. Die Sonne hatte sich nun vollends aus dem Meer erhoben und ihr warmes Licht flutet durch die großen Bundglasfenster in den Raum. Malte ein orange-rotes Feuerspiel auf die Gestallt auf dem Sofa, erweckte das Feuerspiel des Wandfrieses zum Leben und zauberte einen Funkensturm in das lange Haar, welches sich beim Sprung aus dem Zopf gelöst hatte und nun ungehindert in langen Wellen über den Rücken des Mannes, der dort selbstvergessen vor dem Fenster hockte, fiel.
Darius genoss die Strahlen die seine Haut wärmten. Er ließ sich, genießerisch die Augen schließend nach hinten sinken, streckte den langen Körper aus und rekelte sich bis er seiner Meinung nach bequem genug lag um länger so zu verweilen.
Draußen schrie wieder schrill ein Seevogel, wahrscheinlich der selbe der ihn heut morgen aus dem Schlummer gerissen hatte. Mistvieh! Als wolle dieser Vogel ihn davon abhalten wieder einzuschlafen.
Vielleicht war es ja gar kein Vogel der da schrie, sonder ein Mensch, ein hübsches Mädchen, von einer eifersüchtigen Rivalin im Kampf um einen schönen Jüngling in einen Vogel verwandelt. Und nun, von ihrem Liebsten getrennt, schwebte dieses Mädchen über den Klippen, zog ihre unendlichen Kreise und schrie ihre Trauer hinaus auf das Meer.
Welch reizend traurige Geschichte!
Darius schlug die Augen auf, sprang, von einer Welle aus Taten- und Willensdrang gepackt auf, hastete zu den wuchtigen Schränken, zog eine der Schubladen auf, griff sich die darin aufbewahrten Schreibutensilien und lief wieder zum Sofa zurück. Dort angekommen ließ er sich sogleich auf den Boden nieder, legte mit eifrigem Blick Papier und Feder vor sich hin, um noch schnell seine langen Haare zu bändigen, da diese ihn sonst beim Schreiben behindern würden. Flink und geschickt flochten seine schlanken Finger die Strähnen in einander und verschnürten das Ende des Zopfes mit einem Lederband.
Endlich soweit anzufangen griff Darius zur Feder und setzte sie voller Entschlossenheit aufs Papier um seiner Idee von einer Geschichte Form und Worte zu verleihen, doch er stockte. Seine Hand wusste nicht was sie tun sollte, sein Kopf hatte keine Worte für sie, die sie aufs Papier hätte bringen könnten. Ihm fiel einfach nichts ein! Da war die Idee in seinem Kopf, der Kern für diese traurig-schöne Geschichte doch die Worte die sie erzählen sollten, wollten nicht kommen. Es war zum verrückt werden! Da hatte er einen Einfall um sich die endlose Zeit zu vertreiben und dann machte ihm sein eigener Kopf alles zu Nichte.
Darius krampfte die Finger um den Federgriffel, drückte die Spitze auf das Papier bis sie sich verbog und einen großen Tintenklecks hinterließ. Vielleicht lag es daran das diese Geschichte niemand hören würde, das er sie einfach nur schreiben wollte um sich das Warten zu erleichtern und nicht um jemanden damit zu erfreuen. Aber wem sollte er sie denn erzählen, es war doch niemand da der sie hätte hören können! Niemand kam um seinen Erzählungen zu lauschen, niemand der mit ihm auf Wanderschaft durch Märchen und Legenden ging.
Die langen Finger hielten immer noch die Feder umschlungen, umklammerten sie mit eisernem Griff.
In einem heftigen Ansturm von Wut warf Darius die Feder von sich. Sie prallte klappernd gegen das Fenster und viel in einem Regen von blauer Tinte zu Boden. Die Tinte glitzerte kurz im Licht der mittlerweile untergehenden Sonne, gleich einer Handvoll blauer Juwelen die jemand in die Luft geworfen hatte, dann waren sie verschwunden, verschluckt vom Teppich der sie gierig wie ein Durstiger Wanderer aufgesogen hatte.
Der junge Mann dessen Augen nun umwölkt und düster in die Welt starrten Stand ruppig vom Tisch auf, doch seine sonst so eleganten Bewegungen gerieten ins stocken als sich einer seiner Füße in dem wallenden Gewand verhedderte.
Mit einem wütenden Aufschrei verlor Darius das Gleichgewicht, versucht noch mit rudernden Armen es wieder zu erlangen, kippt dann aber doch zur Seite weg. Mit einem Dumpfen Geräusch ging er zu Boden, sein linker Fuß verdreht sich und ein Knie schlug schmerzhaft gegen die Ecke des Tisches.
Sich von seiner Wut mitreißen lassen entrang sich dem Mann ein lautes Knurren, das in einen hitzigen Aufschrei endete. Wütend über seine eigene Ungeschicktheit strampelte sich Darius hastig und wenig elegant aus seiner Kleidung frei, dabei sich selbst und den Tisch wüst beschimpfend. Immer wieder nach Tisch und Kleidung treten rutschte er ein Stück vom Tisch weg, schmiss einen Krug der auf dem stand herunter der mit lautem Scheppern zu Bruch ging und Darius noch rasender machte. Nun vollends von der Wut gepackt wollte er aufstehen und den Tisch, der ihm soviel Unmut bescherte entzwei schlagen, doch in seiner Raserei verhedderte er sich abermals in seiner weiten Kleidung und viel sogleich wieder zu Boden.
Plötzlich war alle Wut verraucht, erstickt an einer plötzlich Erschöpfung die über ihn einher viel wie ein Schwarm Heuschrecken über ein Getreidefeld. Eine einfach Ergebenheit seine Situation lähmte seine Glieder, ließ sie ermattet zu Boden sinken und erstickte allen Zorn.
Müde starrte Darius zum Fenster hinter dessen bunten Scheiben die Sonnen langsam im Meer versank, den Kreislauf beendend den sie am Morgen begonnen hatte. Blutrotes Licht leuchtet noch einmal auf dem Haar des Mannes auf der sich nun, erschöpft und müde auf dem Boden zusammen gerollt hatte.
Darius spurte wie die letzten Strahlen des Tages eine Haut wärmten, ehe er ergeben die Augenschloss um auf den Schlaf zu warten der ihn von einem Tag zum anderen führte. Wartend lag er da, wartend auf den Schlaf, wartend auf einen neuen Tag, wartend darauf das endlich jemand kam um ihn von dieser endlos erscheinenden Langeweile zu befreien.
Mit diesem Gedanken und den langsam ersterbenden Sonnenstrahlen auf der Haut schlief Darius ein.



[ für Jojo]