Dienstag, 5. Juni 2007

Globalisierung

Der Himmel ist grau, es riecht nach Regen und der Wind zerrt an den Bäumen.
Der Schotter unter meinen Füßen ist so grau wie der Himmel, knirscht unter meinen Stiefelsohlen als ich die Einfahrt hinauflaufe zu einem rostigen, alten Tor.
Der Mann der dort wartet reicht mir eine orange Weste und einen Helm. Schutzmaßnahmen – sind Vorschrift, eigentlich darf man mich hier nicht einmal herumführen, geschweige denn auf die Gleisanlagen lassen. Der Helm ist zu groß, rutscht mir beständig ins Gesicht, die Weste riecht nach Öl und altem Kaffee.
Er nennt mir seinen Namen den ich nach spätestens 10 Minuten wieder vergessen habe, fragt mich, was ich wissen will.
Globalisierung – Was bedeutet das für das Unternehmen?
Hat es spürbare Auswirkungen?
Wenn ja, wie geht man hier damit um?
Gibt es große Probleme, Ängste?
Wie schaffen Sie es am internationalen Markt zu bestehen?
Er blickt mich stumpf an, sein ausdrucksloses Gesicht erinnert mich für ein Moment an einen Fisch, dann werden die trüben Augen wieder klar, er kratz sich am Kopf. Der Mann hat keine Ahnung, er wird mir keine meiner Fragen beantworten können, er ist nur hier weil gerade kein anderer Zeit hat.
Als er sich umwendet klimpert es metallen in seinem Werkzeugbeutel. Wir beginnen den Weg hinter dem Tor entlang zustapfen, hier knirscht kein Schotter, hier alles betoniert, grau in grau, wie der Himmel. Vor uns liegt ein Flachbau aus Waschbeton, hinter trüben Fenstern leuchtet kaltes Neonlicht. Drinnen sitzen die Menschen der Verwaltung, das Hauptbüro und die Aufenthaltsräume der Techniker. Mein Führer erzählt mir das, blickt hinüber als wünsche er sich drinnen zu sitzen und Kaffee zu trinken. Natürlich wünscht er sich das, jeder würde das tun. Der Wind ist stärker geworden, zerrt an meinem Helm und treibt die Wolken über den Himmel, sie hängen bedrohlich tief.
Wenn ich noch Fragen hätte, soll ich die ruhig stellen, sagt mein Begleiter plötzlich. Er wird mir als erstes die Gleisanlagen zeigen, das Weichennetz mit dem sie die Wagen sortieren, die Abfertigungsgleise auf denen die Züge gekoppelt werden. Dort leben Kaninchen, zwischen den Gleisen haben sie ihre Bauten, wenn ich Glück hab, werde ich welche sehen können.
Sein Gesicht sagt, dass er hofft ich werde nicht dieselben Fragen wie eben stellen, er hofft ich würde nach den Kaninchen fragen.
Als wir am Weichennetz ankommen, rollt grade ein Wagen hindurch, donnert den Hügel hinunter und rollt schließlich auf eins der Abfertigungsgleise. So werden die Wagen sortiert und die Züge zusammengestellt: Sie lassen die Wagen einfach den Hügel hinunter rollen, durch das Weichenbett werden sie auf die richtigen Gleise sortiert, dann braucht man nur noch die Wagen koppeln und abfertigen.
Ist das ökonomisch?
Natürlich, so sparen sie Zeit und Arbeitskräfte, weil niemand die Wagen mit einer Rangierlok sortieren muss.
Wir das überall so gemacht?
Keine Ahnung.
Hilft diese Einsparung an Zeit und Arbeitskräften am globalen Markt zu bestehen?
Schulterzucken.
Wir laufen zwischen den Weichen hindurch, in einiger Entfernung scheppert ein Kesselwagen den Hügel hinab. Der Himmel ist immer noch grau.
Wir stoppen zwischen zwei Gleisen, lange Reihen aus Güterwagen, zwischen ihnen wachsen Sträucher und Unkraut und ich bleibe mit dem Fuß in einem Loch stecken.
Mein Begleiter lacht, verdammte Kaninchen, sagt er, die leben hier überall zwischen den Gleisen und fressen das Grünzeug, hier haben sie keine natürlichen Feinde. Ich muss nur etwas aufmerksam sein, dann werde ich sie entdecken können zwischen Waggons.
Ich sehe keine Kaninchen.
Im Hintergrund scheppert nur ein weiter Kesselwagen und rollt auf einem der Gleise aus.
Wir laufen weiter über das Gleisbett, begegnen zwei Technikern. Der eine liegt vor einer Radachse und schraubt daran herum, der andere trägt ein Klemmbrett und blinzelt misstrauisch dem Himmel entgegen. Sie tragen die gleichen Westen wie wir aber keine Helme.
Ob ich vielleicht Fragen an sie hätte?
Ja. Glauben Sie dass Ihr Unternehmen in der Globalisierung bestehen wird?
Sie starren mich kurz an, ich glaube den gleichen fischigen Ausdruck auf den Gesichtern zu erkennen wie bei dem anderen Mann.
Sie denken schon, man ist guter Hoffnung.
Was Sie von der Globalisierung halten?
Wieder Schweigen, dann vorsichtiges Vortasten.
Nicht viel, wie auch? Als Techniker bekommt man davon nicht viel mit. Nur das es jetzt mehr Züge aus dem Ostblock gibt. Das sind sowieso die schlimmsten, marode und meistens falsch bezeichnet.
Fürchten Sie um Ihren Job?
Natürlich, jeder tut das. Aber wenn wir nicht hier arbeiten können, dann halt irgendwo anders.
Im Ausland?
Nein.
Wieder ein Grollen, diesmal ist es kein Wagen, es ist der Himmel. Die ersten Regentropfen fallen und wir beeilen uns zum Bürogebäude zu kommen. Ich bin nun froh über Helm und Weste, beides ist wasserfest. Hinter mir höre ich den Techniker mit dem Klemmbrett fluchen.
Im Gebäude angekommen nimmt mir mein Führer Weste und Helm wieder ab, er verschwindet in einem Seitengang. Das Hauptbüro sei am Ende des Mittelgangs, ich solle einfach anklopfen, da könne ich dann sicher noch Antworten auf meine Fragen bekommen.
Die Luft im Hauptbüro ist warm und stickig, es riecht nach Kaffee, Handcreme und Regen. Nebenan fiept ein Kopierer, irgendwo klingelt ein Telefon und ein Fax rattert.
Sie Sekretärin hinter dem Schreibtisch sieht nicht so aus als hätte sie Zeit. Als ich mein Anliegen vortrage weist sie mit dem Kugelschreiber auf ein Regal.
Dort liegen Broschüren, Informationshefte und kleine Flyer. Ich könne mir mitnehmen so viel wie ich möchte.
Ob ich kurz ein Interview führen könnte?
Nein, warum auch? Sie könnte mir nichts von Belang erzählen.
Ich nehme also die Broschüren und verabschiede mich.
Als ich die Einfahrt hinab laufe hat es aufgehört zu Regnen. Der Schotter knirscht nicht mehr unter meinen Füßen aber der Himmel ist immer noch grau. In der Ferne höre ich wieder einen Kesselwagen scheppern, aber das ist jetzt weit weg.
Weit weg, wie die Globalisierung, die in der Welt tobt, in Konzerngebäuden hinter Glasfassaden, in Fabrikhallen, auf den Schreibtischen von Managern.
Hier gibt es das nicht. Hier gibt es keine Glasfassaden, keine Manager in Anzügen, keine perfekt gebundenen Krawattenknoten. Hier gibt es nicht mal Kaninchen.

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